Wer darf mitschwimmen? Und wer nicht?

Neue Ausstellung im Haus der Geschichte über das Schwimmbecken als Spiegel der Gesellschaft – Die Sonderausstellung „Frei Schwimmen – Gemeinsam?!“  läuft noch bis zum 14. September 2025.

Wer darf mitschwimmen? Und wer nicht? Dieser Frage widmet sich die Große Sonderausstellung „Frei Schwimmen – Gemeinsam?!“ im Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Im Becken spiegelt sich die Gesellschaft: Unterschiedlichste Menschen mit verschiedenen Lebensstilen und Moralvorstellungen begegnen sich in öffentlichen Bädern – mal mehr und mal weniger harmonisch.
 Die Schau in dem Stuttgarter Museum präsentiert mehr als 200 Objekte und Fotos – von einer Tür, die sich für Männer niemals öffnet, bis zu Originalaufnahmen von einem Schwimmstar, der später zum weltbekannten Haudrauf Bud Spencer wurde. „Frei Schwimmen“ hat noch bis zum 14. September 2025 geöffnet.

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Was heißt frei schwimmen für wen?

„Was heißt frei schwimmen für wen? Die Ausstellung vermittelt auf spannende Art und Weise, was das öffentliche Baden prägt, aber in diesem Zusammenhang nur ab und zu in der öffentlichen Wahrnehmung auftaucht. Es geht um Gleichberechtigung und Demokratie, aber auch um Sexismus und Rassismus, Ausgrenzung und Vorurteile“, beschreibt Direktorin Dr. Cornelia Hecht-Zeiler die für ein politisch-historisches Museum ungewöhnliche Ausstellung. „Wie frei geschwommen werden kann, erzählt uns, wie frei die Gesellschaft insgesamt ist.“ Kurator Dr. Sebastian Dörfler lädt zum Eintauchen in das Thema ein. „Der Ausstellungsraum im Haus der Geschichte hat sich in ein 35-Meter-Becken verwandelt. Darin sehen wir, welche Badeorte wann für welche Gruppen entstanden sind und wer dort gemeinsam schwamm oder gerade nicht. Einst wurden Bäder für Fürsten und Arme gebaut. Volksbäder sollten für alle zugänglich sein, allerdings lange streng getrennt nach Geschlechtern oder in der NS-Zeit unter Ausschluss der jüdischen Bevölkerung und anderer ,Unerwünschter‘. Und selbst in der Demokratie wollten und wollen nicht alle gemeinsam ins Wasser steigen.“

In der NS-Zeit kam es zum Ausschluss der jüdischen Bevölkerung

Die Ausstellung macht in einer atmosphärischen Inszenierung deutlich, was bis heute jedes Schwimmbad über seine Zeit, die Menschen und ihre Gesellschaft verrät. Sie zeigt Beispiele spektakulärer oder verlassener Bäder und birgt spannende Geschichten: vom sanktionierten Nacktbaden vor über 200 Jahren in Ulm. Von der aus Bissingen (bei Esslingen) stammenden Trudy Ederle, die als erste Frau 1926 den Ärmelkanal durchschwamm und mit ihrem Tempo alle Männer nass machte und nach ihrem Rekordschwimmen die bekannteste Frau in den USA war. Oder von Carlo Pedersoli, der als Schwimmer eine große, als prügelnder Schauspieler eine noch größere Nummer war – da er einst auch 1951 in Schwäbisch Gmünd bei einem Wettkampf die 100 Meter Freistil gewann, gab er später dem dortigen Bud Spencer Bad seinen Namen.

Carlo Pedersoli schwamm 1951 in Schwäbisch Gmünd und wurde als Bud Spencer berühmt

Auch Stuttgarter Lokalkolorit ist zu bewundern. So die schicke rote Badehose, die die Männer des MTV Stuttgart 1920 trugen. Oder das Gruppenbild der MTV-Schwimmer 1922 aus dem Büchsenbad (das dort stand, wo heute die Liederhalle steht). Oder Preistafeln und eine Rundumdusche aus dem Heslacher Hallenbad. In Cannstatt wurde 1929 das erste Sportbad gebaut, zum ersten Mal schwimmt man nicht nur – man trainiert! Und fügt Chlor hinzu, was zum typischen Bädergeruch heute immer noch dazu gehört, der Staret der Volkskörperfürsorge. Oder ein Heliotherapie-Kasten für Lichttherapie aus dem Jahr 1905, der im Leo-Vetter-Bad und im Heslacher Bad eingesetzt wurde. Oder Bademode der Heslacher Firma Benger aus den 1920er-Jahren: Chic in Trockenwolle. Männer und Frauen trugen plötzlich ähnliche Badeanzüge (so wie auch die Frisuren in einer geschlechterangleichenden Phase ähnlich getragen wurden). Ab den 1920er-Jahren wird zum ersten Mal auch gemeinsam gebadet: Deutschland ist frei – man schwimmt jetzt auch frei! Und in welchen Stuttgarter Bädern wird „Oben ohne“-Baden von Frauen toleriert und in welchen nicht? Spannende Fragen werden in der Ausstellung geklärt.

Damenbad im Lorettobad Freiburg: Für Männer streng verboten

„Frei Schwimmen“ präsentiert prunkvolle Stücke aus dem Fürstenbad Bad Wildbad, Instrumente der „Körperoptimierung“ aus den Volksbädern Mannheim und Heslach, die Tür des für Männer streng verbotenen Damenbads im Lorettobad Freiburg sowie den Burkini, mit dem eine Muslima nicht ins Hallenbad in Konstanz eingelassen wurde.
Denn inzwischen werden Freiheit und Freizügigkeit wieder heiß diskutiert. Benötigen Frauen, queere oder behinderte Menschen einen „geschützten Raum“? Nützt oder schadet Oben-ohne-Baden dem Feminismus? Ist die Akzeptanz von maximalem Verhüllen rückständig oder fortschrittlich?

Gut zu wissen

Die Frage nach Freiheit und Freizügigkeit  wird auch im Begleitprogramm diskutiert:
 Burkini-Diskussion und Badehosen-Impro, Wasser-Quiz und Winterschwimmer-Verse. Mit viel Abwechslung startet das Begleitprogramm zur Ausstellung „Frei Schwimmen“ im Haus der Geschichte Baden-Württemberg.
Am Donnerstag, 30. Januar, 19 Uhr, gibt es im Haus der Geschichte einen  spritzigen Slam-Improvisationsabend zur Ausstellung. Heiteres Objekteraten meets PowerPoint-Karaoke. Das Haus der Geschichte taucht tief in seine Depots und Datenbanken. Die dabei geborgenen Schätze werden Improvisationsprofis aus der Poetry-Slam- und Improtheater-Szene ein ums andere Mal ins Schwimmen bringen.  Der Eintritt zu „Wenn Fakten baden gehen“ kostet 10, an der Abendkasse 12 Euro.
Eine Bademeister-Führung mit Ebbe Kögel am Sonntag, 16. Februar, ein großes Wasser-Quiz mit sechs Stuttgarter Museen am 25. Februar sowie ein Gespräch mit der „Winterschwimmerin“-Autorin Marion Poschmann und der Literaturkritikerin Beate Tröger am 6. März sind die weiteren Höhepunkte.
 Weitere Informationen zum Vorverkauf und zum Programm gibt es unter: www.frei-schwimmen.net.