Buddenbrooks: Was hat Thomas Manns Tante in Stuttgart damit zu tun?
Das Kleine Haus in Stuttgart bringt derzeit Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ auf die Bühne. Romanvorlage für Tony Buddenbrooks im wahren Leben war Thomas Manns Tante, die in Bad Cannstatt gewohnt hat.
Buddenbrooks trifft wieder einen Nerv unserer Zeit
Amélie Niermeyers Inszenierungen zeichnen sich durch eine psychologisch dichte Figurenführung und eine Lust am Ausloten zwischenmenschlicher Dynamiken aus. Dabei gelingt es ihr, immer wieder klassische Stoffe mit großer Gegenwärtigkeit und emotionaler Tiefe aufzuladen. Hier legt sie den Fokus auf die inneren Konflikte der drei Geschwister, der dritten Generation der Kaufmannsfamilie Buddenbrook – Tony, Christian und Tom.
Thomas Manns Tante Maria Elisabeth Amalia Haag wohnte in Bad Cannstatt und war die Romanvolage für Tony Buddenbrook
Ermittelt hatte die Buddenbrook-Bezüge vor einigen Jahren der Lübecker Thomas-Mann-Kenner Karsten Blöcker. Wer weitere Hinweise sucht, schaut ins Cannstatter Frauenbuch von Pro Alt-Cannstatt von 2021. Darin hat Helga Müller das Schicksal der Tony Buddenbrook alias „Tante Tony“ vorgestellt.
Thomas Mann-Haus an der Ecke Kreuznacher/Wildbader Straße
Dieses Haus an der Ecke Kreuznacher und Wildbader Straße ist, das kann man ohne Übertreibung sagen, für die Literatur von einiger Bedeutung. In seinem Innern haben sich Dramen abgespielt, wurden Teller an die Wand geworfen und üble Schimpfworte ausgestoßen. All das schlug sich in der Literatur nieder, denn was sich hier ereignete, war dem Schriftsteller Thomas Mann Inspiration für seinen Gesellschaftsroman „Die Buddenbrooks“. Als Vorlage für das Werk diente Thomas Mann seine eigene Familiengeschichte. Und auch seine Tante Elisabeth Amalie Hyppolita Mann, geschiedene Elfeld, geschiedene Haag und deren Gatte Gustav Haag, die in eben diesem Haus in Cannstatt lebten.
Tante Elisabeth Amalie Hyppolita ist im Roman keine geringere als Tony, die Tochter der Kaufmannsfamilie. Im Buch muss sie den Hamburger Benedix Grünlich heiraten, obwohl sie ihn nicht liebt. Mit dem Vermögen der Familie geht es bergab, sowohl der Vater als auch Grünlich verlieren viel Geld, Tony gesteht: „Er war mir immer widerlich“, und lässt sich scheiden. Das Pendant zu Benedix Grünlich im echten Leben ist Elisabeths erster Gatte Ernst Elfeld. Wie Tony wurde auch Elisabeth zu ihrer ersten Ehe genötigt und auch ihr Ehemann ging bankrott, wie Tony lässt sich auch Elisabeth scheiden. Im Roman lernt Tony in München den Hopfenhändler Alois Permaneder kennen und heiratet ihn. Im echten Leben zieht Elisabeth nach Esslingen und begegnet dem Kaufmann Gustav Haag, den sie 1866 heiratet.
Parallelen zwischen Roman und (Cannstatter) Wirklichkeit
Während Alois Permaneder seiner Gattin im Roman „Geh zum Deifi, Saulud’r dreckats!“ hinterherbrüllt, schreibt Julia Mann über ihren angeheirateten Onkel von „Heftigkeit und Grobheit im Charakter. Er warf Teller auf die Erde, wenn ihm das Essen nicht paßte, und als seine Frau einmal das Unglück hatte, sich beim Frühstück an einem Zwieback einen Zahn auszubeißen, machte er ihr, in seiner Eitelkeit, eine hübsche Frau zu haben, gekränkt eine Scene, als sei sie daran schuld.“
Gustav Haag verliert nach und nach völlig die Kontrolle über sein Leben und landet im Gefängnis. Wieder Scheidung. Bei Elisabeth im echten und bei Tony im fiktiven Leben. Im Roman erwischt Tony ihren Permaneder, als er versucht, die sich heftig wehrende Köchin zu küssen. Hier hat Thomas Mann die Romanhandlung offensichtlich weniger dramatisch dargestellt, als es in der Realität gewesen sein muss. Elisabeth wirft ihrem Gatten nämlich vor, er habe „in den Jahren 1879 und 1880 (...) wiederholt mit prostituierten Dirnen geschlechtlich verkehrt und solcherart die Ehe gebrochen.“
„Die Buddenbrooks“ werden wohl immer zur Weltliteratur gehören. Elisabeth Amalia Hyppolita Haag aber, der ein Zahn ausfiel, als sie im Haus in Bad Cannstatt in einen Zwieback biss, und die von ihrem Gatten deshalb in den Senkel gestellt wurde, ist lang schon in Vergessenheit geraten.
Gut zu wissen:
Buddenbrooks von Thomas Mann in einer Neufassung von John von Düffel. Inszenierung: Amélie Niermeyer. Bühne: Christian Schmidt, Kostüme: Stefanie Seitz, Musik: Jacob Suske, Licht: Jörg Schuchardt, Dramaturgie: Benjamin Große. Es spielen Tim Bülow, Rainer Galke, Felix Jordan, Reinhard Mahlberg, Sven Prietz, Sebastian Röhrle, Celina Rongen, Christiane Roßbach, Anke Schubert, Silvia Schwinger, Kinderstatisterie.
Weitere Vorstellungen von „Buddenbrooks“ sind im Kleinen Haus am 15. Juni, 15 Uhr, weitere Termine für Juli und die Spielzeit 25/26 sind in Planung.