Buddenbrooks: Was hat Thomas Manns Tante in Stuttgart damit zu tun?

Das Kleine Haus in Stuttgart bringt derzeit Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ auf die Bühne. Romanvorlage für Tony Buddenbrooks im wahren Leben war Thomas Manns Tante, die in Bad Cannstatt gewohnt hat.

Der Name Buddenbrook bleibt verbunden  mit dem  weltberühmten Roman von Thomas Mann und dem Porträt einer im Untergang begriffenen Gesellschaft und Epoche.  Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann zeigt das Schauspiel Stuttgart derzeit eine Neubearbeitung  von Buddenbrooks  im Kleinen Haus. Für Buddenbrooks wurde ihm 1929 der Nobelpreis für Literatur verliehen, der Roman wurde bis heute in 38 Sprachen übersetzt. 

Buddenbrooks trifft wieder einen Nerv unserer Zeit

Manns Roman über das untergehende Bürgertum im Lübeck des 19. Jahrhundert trifft  angesichts wirtschaftlicher Unsicherheiten, sozialer Umbrüche und wachsender Fragen nach  gesellschaftlichem Status aktuell wieder einen Nerv unserer Zeit. Der Autor John von Düffel verdichtet in seiner Neufassung für das Schauspiel Stuttgart die Geschichte vom Aufstieg und Verfall der Lübecker Kaufmannsfamilie, seine sehenswerte Bühnenbearbeitung zeigt das zeitlose Drama um Tradition und Erneuerung, Glück und Verlust, die stets den gesellschaftlichen Umbrüchen unterliegenden Familienverhältnisse: Im Zentrum steht das Erbe – materiell wie ideell – und die Frage, was es im Innersten einer Familie auslöst, wenn verbindende Werte zerfallen und ein Erbe mehr belastet als trägt.
Amélie Niermeyers Inszenierungen zeichnen sich durch eine psychologisch dichte Figurenführung und eine Lust am Ausloten zwischenmenschlicher Dynamiken aus. Dabei gelingt es  ihr, immer wieder klassische Stoffe mit großer Gegenwärtigkeit und emotionaler Tiefe aufzuladen. Hier legt sie den Fokus auf die inneren Konflikte der drei Geschwister, der dritten Generation der Kaufmannsfamilie Buddenbrook – Tony, Christian und Tom.

Thomas Manns Tante Maria Elisabeth Amalia Haag wohnte in Bad Cannstatt  und war die Romanvolage für Tony Buddenbrook

Literaturnobelpreisträger Thomas Mann hat auch in Bad Cannstatt seine Spuren hinterlassen.  Denn dessen berühmte Romanfigur Tony Buddenbrook wohnte als Original und Vorbild für die Figur als Maria Elisabeth Amalia Hippolite Haag (geborene Mann) von 1870 bis 1881 in dem Cannstatter Haus des noblen Viertels, welches auch im Volksmund „Pensionopolis“ genannt wurde. Am Haus Kreuznacher Straße 2 beim unteren Kurpark hat der Verein Pro Alt-Cannstatt die Tafel montiert, die auf eine Geschichte rund um Thomas Manns „Die Buddenbrooks“ verweist. Auf der Tafel steht, dass sie in der Familie von Thomas Mann als „Tante Tony aus Cannstatt“ bekannt war. Sie lebte von 1838 bis 1917.
Ermittelt hatte die Buddenbrook-Bezüge vor einigen Jahren der Lübecker Thomas-Mann-Kenner Karsten Blöcker.  Wer weitere Hinweise sucht, schaut ins Cannstatter Frauenbuch von Pro Alt-Cannstatt von 2021. Darin hat Helga Müller das Schicksal der Tony Buddenbrook alias „Tante Tony“ vorgestellt.

Thomas Mann-Haus an der Ecke Kreuznacher/Wildbader Straße

Im Zweiten Weltkrieg blieb das Haus unbeschädigt. Wie das Haus an der Kreuznacher Straße einst aussah, zeigen historische Aufnahmen aus der Serie Stuttgart 1942 des Stadtarchivs. Dort ist die reichhaltig gestaltete Fassade sichtbar. Im Zweiten Weltkrieg ist das Haus nachweislich nahezu unbeschädigt gewesen. Bei einer Sanierung in der Nachkriegszeit wurde alles an der Fassade abgeschlagen. Von 1958 bis 1980 gehörte das Haus dem VfB, der das Gebäude als Unterkunft für Spieler und Angestellte nutzte. Heute gehört es der Eigentümergemeinschaft der Bewohner des Hauses.
Dieses Haus an der Ecke Kreuznacher und Wildbader Straße ist, das kann man ohne Übertreibung sagen, für die Literatur von einiger Bedeutung. In seinem Innern haben sich Dramen abgespielt, wurden Teller an die Wand geworfen und üble Schimpfworte ausgestoßen. All das schlug sich in der Literatur nieder, denn was sich hier ereignete, war dem Schriftsteller Thomas Mann Inspiration für seinen Gesellschaftsroman „Die Buddenbrooks“. Als Vorlage für das Werk diente Thomas Mann seine eigene Familiengeschichte. Und auch seine Tante Elisabeth Amalie Hyppolita Mann, geschiedene Elfeld, geschiedene Haag und deren Gatte Gustav Haag, die in eben diesem Haus in Cannstatt lebten.
Tante Elisabeth Amalie Hyppolita ist im Roman keine geringere als Tony, die Tochter der Kaufmannsfamilie. Im Buch muss sie den Hamburger Benedix Grünlich heiraten, obwohl sie ihn nicht liebt. Mit dem Vermögen der Familie geht es bergab, sowohl der Vater als auch Grünlich verlieren viel Geld, Tony gesteht: „Er war mir immer widerlich“, und lässt sich scheiden. Das Pendant zu Benedix Grünlich im echten Leben ist Elisabeths erster Gatte Ernst Elfeld. Wie Tony wurde auch Elisabeth zu ihrer ersten Ehe genötigt und auch ihr Ehemann ging bankrott, wie Tony lässt sich auch Elisabeth scheiden. Im Roman lernt Tony in München den Hopfenhändler Alois Permaneder kennen und heiratet ihn. Im echten Leben zieht Elisabeth nach Esslingen und begegnet dem Kaufmann Gustav Haag, den sie 1866 heiratet.

Parallelen zwischen Roman und (Cannstatter) Wirklichkeit

Wieder Parallelen zwischen Roman und Wirklichkeit: Während Permaneder sich mit der Mitgift seiner Gattin zur Ruhe setzt, betreibt Gustav Haag zwar noch seine Eisenwarenhandlung, gibt sie dann aber auf und zieht – und nun kommt endlich das Haus ins Spiel – mit der Familie im Jahr 1870 nach Cannstatt. Wirtschaftlich geht’s bergab, Haag wird immer aggressiver gegen seine Familie.
Während Alois Permaneder seiner Gattin im Roman „Geh zum Deifi, Saulud’r dreckats!“ hinterherbrüllt, schreibt Julia Mann über ihren angeheirateten Onkel von „Heftigkeit und Grobheit im Charakter. Er warf Teller auf die Erde, wenn ihm das Essen nicht paßte, und als seine Frau einmal das Unglück hatte, sich beim Frühstück an einem Zwieback einen Zahn auszubeißen, machte er ihr, in seiner Eitelkeit, eine hübsche Frau zu haben, gekränkt eine Scene, als sei sie daran schuld.“
 Gustav Haag verliert nach und nach völlig die Kontrolle über sein Leben und landet im Gefängnis. Wieder Scheidung. Bei Elisabeth im echten und bei Tony im fiktiven Leben. Im Roman erwischt Tony ihren Permaneder, als er versucht, die sich heftig wehrende Köchin zu küssen. Hier hat Thomas Mann die Romanhandlung offensichtlich weniger dramatisch dargestellt, als es in der Realität gewesen sein muss. Elisabeth wirft ihrem Gatten nämlich vor, er habe „in den Jahren 1879 und 1880 (...) wiederholt mit prostituierten Dirnen geschlechtlich verkehrt und solcherart die Ehe gebrochen.“

„Die Buddenbrooks“ werden wohl immer zur Weltliteratur gehören. Elisabeth Amalia Hyppolita Haag aber, der ein Zahn ausfiel, als sie im Haus in Bad Cannstatt in einen Zwieback biss, und die von ihrem Gatten deshalb in den Senkel gestellt wurde, ist lang schon in Vergessenheit geraten.

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Gut zu wissen:

Buddenbrooks von Thomas Mann in einer Neufassung von John von Düffel. Inszenierung: Amélie Niermeyer. Bühne: Christian Schmidt, Kostüme: Stefanie Seitz, Musik: Jacob Suske, Licht: Jörg Schuchardt, Dramaturgie: Benjamin Große. Es spielen Tim Bülow, Rainer Galke, Felix Jordan, Reinhard Mahlberg, Sven Prietz, Sebastian Röhrle, Celina Rongen, Christiane Roßbach, Anke Schubert, Silvia Schwinger, Kinderstatisterie.
Weitere Vorstellungen von „Buddenbrooks“ sind im Kleinen Haus am  15. Juni, 15 Uhr, weitere Termine für Juli und die Spielzeit 25/26 sind in Planung.