Geld ohne Wert in Notzeiten

Vor 100 Jahren waren auch  die Stuttgarter verzweifelt,  als  in der jungen Weimarer Republik Massen von verschiedene Papierscheinen im Umlauf waren, für die man fast nichts bekam.

Es gruselt einen, wenn man die Zahlen sieht, die 1923 auf vielen  Geldscheinen zu finden waren: zwei Milliarden, fünf Milliarden, fünfzig Milliarden  Mark. Heute wissen wir, dass dieses Papiergeld  in der Weimarer Republik irgendwann nur noch Schall und Rauch war. 1923 führte es zur so genannten Hyperinflation. „Man muss sich das wirklich so vorstellen, dass  man an einem Tag für ein Produkt abends einen anderen Preis zu zahlen hatte wie morgens“, sagt Stadtpalais-Direktor Torben Giese.  Er hat  im vergangenen Jahr eine Sonderausstellung zu den „Zwanziger Jahren“ in Stuttgart gemacht  und bereitet gerade Lebensläufe von Frauen-Persönlichkeiten in dieser Zeit vor.
 Was man heute in Ansätzen nur vom Benzinpreis kennt, wühlte damals die Menschen auf. Ein Kilo Brot kostete in Stuttgart im November  1923 eine dreistellige  Milliarde Reichsmark, ein Pfund Kalbfleisch 350 Milliarden Reichsmark, ein Liter Salatöl 700 Milliarden Reichsmark. „Auch 1923 gab es noch die so genannten Lebensmittelmarken“, sagt Torben Giese,  zumindest für die  Rationierung von   Brot  und  Milch.  Die Preise jeglicher Produkte stiegen in einem galoppierendem Tempo.  Das Papiergeld war einfach nichts mehr wert, „es fehlte jeglicher Gegenwert“, so Giese.
Was man sich heute ebenfalls kaum noch vorstellen kann: es  gab   unterschiedliche Motive für ein und denselben Geldschein über die Städte hinweg verteilt – „und glücklich war, wer den Daimler-Schein hatte.“
Aber wie war so eine Konfusion möglich? Wie  konnte ein Staat so blind sein und solch  eine Konfusion zulassen?
Sehr gut vermittelt das Stadtarchiv Stuttgart auf seiner Seite www.archiv0711 die Entwicklung der Geldentwertung. Der Historiker Dirk Schindelbeck,  Katharina  Beiergrößlein und Gunter Riederer vom Stadtarchiv Stuttgart berichten in einem  Online-Vortrag über die   Inflation
nach dem Ersten Weltkrieg.
 Der Stand der Dinge  war: Frankreich verlangte Reparationskosten von Deutschland als Kriegsverursacher, festgelegt im Versailler Vertrag. Die Franzosen machten Druck, indem sie die Ruhrgebiete besetzten. Auch im Südwesten Deutschlands kam das nicht gut an. „Die Reichsbank“, so Schindelbeck weiter, „hatte Gold.“ Mehr noch: sie hielt es  für die all halbes Jahr fälligen Kriegsanleihe zurück.  „So hat der    Staat den Krieg finanziert.“
Aber die Städte und Kommunen hatten kein Geld mehr. Die Reichsbank kam deren Bitte nach, dass man   selbst drucken dürfe, damit die Bevölkerung das Notwendigste bezahlen konnte und der Handel nicht zm Erliegen kam. Allerdings gab es die Einschränkung,  dass es  nur kleine Werte sein durften. „Außerdem“, sagt Schindelbeck, „war die Notgeld-Produktion lokal  begrenzt, die Scheine waren wie Gutscheine zeitlich begrenzt und  man hätte  die Produktion mit  den  Behörden absprechen müssen“. Es gab nämlich  seit 1909 bereits ein Gesetz, das klar machte, dass der Wert von Münzen und Scheinen durch Gold oder genauer durch vorhandene Goldbarren gedeckt sein musste.  
Aber die Regierenden der Weimarer Republik waren mit ihrer Politik mit Umbrüchen, mit Beruhigung von Straßenschlachten so beschäftigt, dass sie nicht eingriffen.  Das  Desaster nahm seinen Lauf und die Blütezeit des Papiergelds und der Notgeld-Emissionen zog sich vom Ende des Ersten Weltkriegs bis 1923  hin. „Bis zu 100 000 verschiedene Scheine waren in  gleichzeitig im Umlauf. Woher sollte der einfache Bürger wissen, was  sein Schein, den er in der Hand hielt, wert war?“ Es war der kleine Bürger, beschreibt Schindelbeck, der nicht mehr wusste, wie ihm  – bei sowieso rationierten Portionen  – geschah, der Angst um seine Existenz und um die seiner Familie hatte und sicher auch mit Kriegstraumata zu kämpfen hatte.  Die Folge der Geldentwertung war Wucher bei den Preisen. Bauern gaben ihre Ware erst dann raus, wenn sie das Gefühl hatten, dafür hoch genug bezahlt zu werden.
Auch in Stuttgart überlegten Familien, ob sie lieber auswandern sollten, um so ihre Existenz zu sichern. Vor allem  Pensionäre und der Mittelstand, der gespart hatte, waren die Verlierer der Hyperinflation. Der Staat, die Industrie, die Bankiers hingegen waren fein heraus. Sie hatten Gold zurückgehalten. Im November 1923 schließlich wurde die Rentenmark eingeführt und dem Spuk der Hyperinflation wurde zunächst mal ein Riegel vorgeschoben.
„Was wirklich verrückt ist“, sagt Torben Giese, „dass man nach  diesen Turbulenzen  nochmals an die junge Weimarer Republik geglaubt  und zum großen Teil dem Staat nochmals vertraut hat.“

Zur Serie:

Das Jahr 1923 gilt heute – 100 Jahre später  – als eine kurze, verrückte Periode, die den so genannten „Goldenen Zwanzigern“ vorausgegangen ist. War das Erstarken der NSDAP damals schon sichtbar? War die Weimarer Republik noch nicht gefestigt? Das Stuttgarter Wochenblatt richtet mit der Serie „1923 – vor 100 Jahren“ den Blick  auf Stuttgart und stellt die damalige Stadt mit ihrer Wirtschaft, ihrer Urbanisierung, ihrem Beginn von Freizeitvergnügen und ihren Persönlichkeiten vor. Was auf jeden Fall feststeht: 1923 war das Jahr der Hyperinflation, in dem es für Geld keinen Gegenwert mehr gab.