Konsum-Tempel beschlagnahmt
Die Warenhauskette Hermann Tietz – später „Hertie“ – war Anfang des Jahrhunderts ein Publikumsmagnet. Ein Streik und der Eingriff durch den Staat zeigen die Probleme der Weimarer Republik.
Wenn man an die 20er Jahre in Stuttgart und an ein Warenhaus denkt, dann fällt manch einem wohl zunächst das Kaufhaus Schocken in der Eberhardstraße ein, dort, wo heute Horten-Galeria steht. Doch das modern anmutende Prachtstück, geplant vom Architekten Erich Mendelsohn, wurde erst 1928 eröffnet.
Hingegen war die Warenhauskette „Hermann Tietz“ – „d’r Dietz“, mit weichem „d“, wie der Schwabe es ausspricht – in Stuttgart wie in vielen anderen großen Städten schon längst etabliert. Filialen gab es in der Friedrichstraße 50, in der Marktstraße – beide eröffnet schon Ende des 19. Jahrhunderts. Ein echter Konsum-Tempel bestach seit 1905 in der Königstraße 27, schon durch sein Äußeres: eine neobarocke Stein- und Eisenbetonfassade, auf dem Dach eine Weltkugel. Vier Magazingeschosse und fünf Einkaufsetagen plus Fotostudio, in dem man Porträt-Aufnahmen machen lassen konnte, waren Bestand des Kaufhauses.
Gründer Oscar Tietzt starb im Januar 1923 in Klosters
Am 17. Januar 1923 war der Gründer der Kette, Oscar Tietz, bereits im schweizerischen Klosters gestorben. Den Höhepunkt der Geldentwertung im November 1923 erlebte er nicht mehr. Man kann aber davon ausgehen, dass die Schere zwischen „Reich und Arm“ auch in Stuttgart im Inflationsjahr sichtbar war. Klar war: Feilschen war im feinen Kaufhaus in der Innenstadt ausgeschlossen, es herrschten festgelegte Preise. Der gebürtige Geraer Tietz, Gründer des heutigen Handelsverbands Deutschlands, aus dessen „Hermann Tietz“-Kette später „Hertie“ werden sollte, sollte und wollte seinen Söhnen alles gut bestellt hinterlassen. Eine Episode zu Beginn der Weimarer Republik zeigt, wie einer seiner Söhne, der schon früh mit die Geschäft führte, um den Standort Stuttgart kämpfen musste. Und das Beispiel zeigt außerdem, auf welchen fragilen Beinen die junge Republik stand und dass in der Gesetzgebung und der Trennung von Wirtschaft und Staat manches ins Wanken geriet.
Georg Tietz war Teilhaber der Warenhauskette Hermann Tietz.
Das Warenkaufhaus wurde 1918 beschlagnahmt - als Nationaleigentum - was für eine Einmischung des Staates!
Am Standort Stuttgart wurde im Zuge der Novemberrevolution 1918 wie in vielen anderen Städten gestreikt, auch in Kaufhäusern. Der gerade ernannte württembergische Kriegsminister Ulrich Fischer hatte Georg Tietz zufolge sein Warenkaufhaus beschlagnahmt, als Nationaleigentum – was für eine Einmischung des Staates!
Zur zeitlichen Einordnung: Am 30. November sollte König Wilhelm II., um dessen Denkmals-Platz rund ums heutige Stadtpalais jetzt erst wieder gerungen wurde, erst abdanken. Bei Georg Tietz’ Ankunft aus München in Stuttgart wurde vermutlich gerade über eine provisorische Regierung Württembergs unter der Führung Wilhelm Blos’ (MSPD) nachgedacht.
Der Gewerkschafter Ulrich Fischer – so liest man es aus den Zeilen eines Eintrags im Archiv-Blog des Stadtarchivs Stuttgart – „Wie aus Warenhaus Tietz Hertie wurde“ – war mit der Situation überfordert. Von seiner politischen Gesinnung her gehörte Fischer zur USPD, linksgerichtet von den Sozialdemokraten. Die Frage ist: stand Fischer überhaupt dahinter, irgendetwas zu beschlagnahmen, ging er gegen seine Einstellung gegen Mitstreiter vor? Fest steht: Letztendlich griff er in privates Vermögen und Besitztum ein.
Die beiden Parteien – Tietz und Fischer – einigten sich im Gespräch auf den Lohn- und Tarifvertrag für die Angestellten, dem Minimum der Forderungen der Streikenden. Der Hedelfinger Fischer trat – gerade mal zwei Monate nach seinem Amtsantritt zum Kriegsminister – zurück, als er den Spartakusaufstand in Stuttgart auf Weisung der provisorischen Regierung mit Waffengewalt unterdrücken sollte.
Familie Tietz und Hertie in Stuttgart
Immer wieder kam es in der Weimarer Republik zu „Staatseingriffen“, auch in wirtschaftliche Belange. Heute heißt es zum Beispiel bei der Landeszentrale für politische Bildung zum Begriff „Staatseingriff“: „Eingriffe des Staates in die Wirtschaft dürfen den Marktmechanismus nicht außer Kraft setzen, sondern müssen marktkonform sein.“
Wer mehr wissen will zur Familie Tietz in Stuttgart, findet einen Beitrag des Stadtarchivs Stuttgart unter https://archiv0711.hypotheses.org/1906. Sämtliches Zeitgeschehen in Württemberg vor dem Inflationsjahr 1923 findet man mehr unter www.landesarchiv-bw.de Zur Serie:
Das Stuttgarter Wochenblatt stellt mit der Serie „1923 – vor 100 Jahren“ die aufstrebende Stadt mitten in der Weimarer Republik und ihre Persönlichkeiten vor.