Paula Straus' Karriere wurde von den Nazis zerstört

 

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Paula Straus war in den 20ern ein Star unter den Goldschmieden – Die Ausstellung „Paula Straus – Vom Kunsthandwerk zum Industriedesign“ ist Teil des „FemPalais – Festival der Frauen“ im Stadtpalais

 

Die gebürtige Stuttgarterin Paula Straus (1894–1943) gehört zu den glücklichen Frauen ihrer Zeit, die  den Beruf der Gold- und Silberschmiedin professionell an einer Fachschule (Schwäbisch Gmünd, Stuttgart) erlernen dürfen und mit ihren Werken Geld verdienen. 1921 wird sie Goldschmiedemeisterin – eine der wenigen Frauen, die das Meisterfach erreichen. Sie hat Glück, denn sie ist in der Königlichen Residenzstadt Stuttgart geboren, die damals das Zentrum des modernen Kunsthandwerks in Deutschland ist.
Sie entwirft nützliche Dinge der angewandten Kunst wie modernen, handgearbeiteten Goldschmuck für Frauen und avantgardistische Entwürfe für Tafelgerät und Silberservice für die Firma Bruckmann als Serienproduktion für den anspruchsvollen Esstisch. Bis 1933 schuf sie dort über 100 Entwürfe für Tafelsilber, christliches Kultgerät und Judaika, die teilweise auch nach 1945 noch produziert wurden.
Ab 1923 ist Paula Straus jährlich bei Ausstellungen in Italien, der Schweiz, in Spanien und Frankreich vertreten und gewinnt bei der Weltausstellung in Barcelona 1929 den Grand Prix. Paula Straus behauptet sich in der ersten Reihe des deutschen Goldschmiedehandwerks. Ihr Kunst ist   wortwörtlich Teil der Goldenen 20er-Jahre!
Sie erwirbt ein kleines Häuschen auf der Schwäbische Alb und eines  in der Gablenberger Hauptstraße. Aber wie viele ihrer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger wird sie 1933 erst gekündigt, dann enteignet, dann erhält sie Berufsverbot, und am Ende folgt der Transport und die Ermordung in Auschwitz.
Paula Straus wurde als zweite Tochter des Kaufmanns Leon Straus (gest. 1925) und seiner Frau Clara, geb. Levi (1870–1943), geboren. Sie besuchte die Staatliche Höhere Mädchenschule in Stuttgart und schloss sich schon früh der Wandervogel-Bewegung an.
 Nach ihrer Ausbildung kehrte sie 1919 nach Stuttgart an die Württembergische Kunstgewerbeschule am Weißenhof zurück, wo sie Meisterschülerin von Professor Paul Haustein wurde.
Hier legte Paula Straus 1921 ihre Meisterprüfung als Goldschmiedin ab. 1925 folgte ihre erste Einzelausstellung in der Kunsthalle Mannheim, wahrscheinlich auch auf Vermittlung ihres Vetters Herbert Tannenbaum, eines Kunsthändlers in Mannheim. Im gleichen Jahr ging Straus nach Heilbronn und arbeitete für die Silberwarenfabrik Peter Bruckmann & Söhne.
Bereits 1926 wurden ihre Entwürfe für Bruckmann anlässlich der Ausstellung „Württembergisches Kunsthandwerk“ im Landesgewerbemuseum Stuttgart besonders hervorgehoben. „Das Gestaltungsprinzip der ‚Form‘“, so das Stuttgarter „Neue Tagblatt“, „kommt wohl am klarsten zur Geltung in den Metallarbeiten, die Paula Straus  in den Werkstätten von Bruckmann, Heilbronn, geschaffen hat. Das ist fast das ‚Modernste‘, was man auf der Ausstellung zu sehen bekommt. Die Linie der Geräte ist wunderbar einleuchtend in ihrer nackten Klarheit.“
 1929 erhielt Paula Straus einen Lehrauftrag an der Staatlichen Hochschule für Handwerk und Baukunst in Weimar. Neben ihrem Firmenatelier in Heilbronn richtete sich Straus eine private Werkstatt in Gundelfingen ein. Der Stuttgarter Maler Reinhold Nägele, der mit Paula Straus befreundet war, malte zwei Ansichten von Dorf und Burg Niedergundelfingen, wie sie von Paula Straus’ Haus aus zu sehen waren.
Am 31. Januar 1933 verließ Paula Straus das Unternehmen Bruckmann & Söhne aus wirtschaftlichen Gründen. Straus hatte sich eine eigene Werkstatt in der Stuttgarter Azenbergstraße eingerichtet, ab 1. Februar 1933 trat sie auch eine neue Stelle bei der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) in Geislingen an der Steige an.
Unter dem Druck judenfeindlicher Erlasse musste sie diese Stelle jedoch noch vor Ende 1933 wieder aufgeben. Die Judenverfolgung der Nazis zerstörte nun komplett ihre Karriere.
Als der Druck auf die jüdischen Deutschen immer größer wurde, dachte auch Paula Straus über die Emigration nach.
Das  kurz zuvor erworbenes Haus in der Gablenbergstraße in Stuttgart musste unter Druck zu einem Spottpreis verkauft werden. Nachdem der Versuch der Emigration in die Niederlande gescheitert war, wurde Paula Straus am 1. Januar 1939 ein Arbeitsverbot auferlegt.
Zusammen mit ihrer Mutter wurde sie in ein sogenanntes Judenhaus in der Werfmershalde in Stuttgart eingewiesen.
Am 22. August 1942 wurde Paula Straus vom Stuttgarter Killesberg aus, nicht weit von ihrer früheren Wirkungsstätte Kunstgewerbeschule entfernt, nach Theresienstadt deportiert. Zuvor hatte sie ihre Arbeiten bei nicht-jüdischen Bekannten untergebracht.
  Am 29. Januar 1943 wurde sie mit dem „Todestransport“ Ct von Theresienstadt aus nach Auschwitz deportiert und dort am 10. Februar 1943 in der Gaskammer ermordet.
Für Paula Straus und ihre Mutter Klara wurden vor dem Haus Gablenberger Hauptstraße 173 Stolpersteine verlegt.
Ihr lange vergessenes Werk wurde durch Ausstellungen im Badischen Landesmuseum Karlsruhe und im Bröhan-Museum Berlin – und nicht zuletzt in der nun eröffneten und bis September laufenden Sonderausstellung „Paula Straus“ im Stadtpalais –  wiederentdeckt. Sie zählt „zu den ersten Industriedesignerinnen Deutschlands“. Ihr Nachlass – 500 Briefe, Fotografien und Werkzeichnungen für Silbergeräte, Schmuck und Judaica – ging 2015 als Schenkung an das Jüdische Museum Berlin.

Gut zu wissen

Sonderausstellung „Paula Straus“ im Stadtpalais – Museum für Stuttgart vom 4. März bis 10. September 2023.Buchung von Führungen über: www.stadtpalais-stuttgart.de.
Öffentliche Führungen immer sonntags, 16 Uhr

Zur Serie
Das Jahr 1923 gilt heute – 100 Jahre später  – als eine kurze, verrückte Periode, die den so genannten „Goldenen Zwanzigern“ vorausgegangen ist. Das Stuttgarter Wochenblatt richtet mit der Serie „1923 – vor 100 Jahren“ den Blick  auf Stuttgart  und stellt die damalige Stadt,  ihrem Beginn von Freizeitvergnügen und ihren Persönlichkeiten vor. Was auf jeden Fall feststeht: 1923 war das Jahr der Hyperinflation, in dem es für Geld keinen Gegenwert mehr gab.