Schwäbisch in „Streets of Stuttgart“
Dialektpflege 2.0, damit auch die Jüngeren Schwäbisch schätzet: Der Verein „schwäbische mund.art e.V.“ hat ein Projekt „SOS – Streets of Stuttgart“ ins Leben gerufen nach dem Motto „Let’s Play – im Dialekt“ oder „Das Schwabenland als Open-Ländle-Game“
Dialektpflege 2.0: Was passiert, wenn ein klassischer Verein zur Pflege des schwäbischen Dialekts 22 einminütige Videoclips auf vier verschiedenen Plattformen postet, in denen so getan wird, als gäbe es ein Open-World-Game, das im Schwabenland spielt – also ein „Swabian Gameplay“ – und von schwäbischen Gangstern bevölkert wird, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt? – Blut und Schießereien inklusive. Dieses Experiment fahren Mundartaktivisten des Künstlernetzwerks schwäbische mund.art e.V. seit November letzten Jahres auf Facebook, TikTok, YouTube und Instagram.
Schwäbischer Dialekt trifft auf moderne Medien
Das vorläufige Ergebnis kann sich sehen lassen: Während die meisten Clips die übliche Aufmerksamkeit erhalten und auch der aus 22 Einzelteilen bestehende Gesamtfilm von 17 Minuten verhalten aufgerufen wird, generierten einzelne Clips täglich mehr als 2500 Clicks. „In vier Monaten erreichten wir auf den Sozialen Medien (YouTube, Facebook und TikTok) insgesamt 69 950 Clicks, 608 Likes und 144 Follower“, so Pius Jauch, der SOS-Projektmacher und Vizevorsitzende des Vereins. „Sogar in Asien schauen sie die Szenen, besonders beliebt ist die im Rotlichtviertel“, schmunzelt der Vereinsvorsitzende Wolfgang Wulz.
Revolutionäre Strategie für Dialektpflege
Dahinter steckt eine für den bodenständigen Verein revolutionäre Strategie: Schwäbische Bühnenkünstlerinnen und -künstler erstellen gemeinsam Inhalte, die in weniger als einer Minute konsumiert werden können und nicht per se gefällig sind. Ganz im Gegenteil. Alles an dem Streifen ist fragwürdig. Nichts ist ernst gemeint, oder etwa doch?
„Abgesehen davon, dass wir es für wichtig halten, unsere Kultur und Umgebung in der digitalen Welt abzubilden, hatten wir einfach Lust, mal ordentlich auf den Putz zu hauen und nicht den gängigen Erwartungen zu entsprechen“, meint Pius Jauch, der sich voll in das Thema hineingehängt und auch Drehbuch und Produktion des Films übernommen hat. „Im Rahmen unserer Möglichkeiten fordern wir die Seh- und Hörgewohnheiten unseres Publikums bewusst heraus, wenn wir die Volksbühne verlassen und die Frage stellen, welche Computerspiele man hierzulande wirklich spielt. Wer die neuesten Versionen des weltweit erfolgreichsten Computerspiels ‚Grand Theft Auto’ kennt, der merkt schnell, dass unser Drehbuch daraus eine schwäbische Version gemacht hat. Da dieses Spiel allerdings vielen Freunden der Mundartszene unbekannt war, hielt gerade unser angestammtes Publikum die Produktion für frei erfunden und in der Folge oft genug für eine Geschmacklosigkeit ohnegleichen.“
„Das ist ein riesiges Feld“, meint Dr. Wolfgang Wulz, Vorsitzender des Vereins, der die lebhaften Kontroversen um das Thema im Verein mit Wohlwollen verfolgt. „Kultur und Sprache entwickeln sich ständig. Heißt, man muss für Neues offen sein, besonders wenn man seinen Dialekt in die Zukunft tragen will.“
Kontroverse und Erfolg: Schwäbische Kultur im digitalen Zeitalter
„Bin ich nun zufrieden mit dem Erfolg des Projekts? Jein. Es hat dem Team ungeheuer viel Spaß gemacht. Wir haben sehr viele Menschen erreicht, und wen wir nicht begeisterten, der regte sich über uns auf“, bilanziert Jauch.
Inzwischen gibt es bereits das erste „Reactionvideo“ auf den Film, in dem ein echter „Streamer“ den Fake-Stream der Aktivisten kommentiert. Und auch in Schulen sei das Projekt bereits angekommen, wie ein Lehrer berichtet, der Schüler mit dem „Machwerk“ konfrontierte.
„Die Filme sorgen für angeregte Diskussionen“, schmunzelt Jauch und meint, das sei auch gut so. In der Wohlfühlecke bei den bekannten Lachern sei es zwar gemütlicher. Um weiterzukommen müsse man jedoch dringend neue Wege gehen. Und wohin die führten, sei bekanntlich ungewiss.
Zukunftspläne: Vom Open-Ländle zu einem echten Videospiel?
Getragen vom Erfolg und den Erwartungen eines neuen Publikums wollen die schwäbischen Gamer auf jeden Fall weitermachen. Im Gespräch sei die Erstellung eines echten Videospiels sowie weitere Sequenzen von Streets of Stuttgart, die in verschiedenen Epochen der schwäbischen Geschichte spielten. „Stellenweise kam es mir so vor, als ob es sich bei der schwäbischen Welt um eine Art von Reservat handle, in dem noch lange nicht erlaubt oder willkommen sei, was außerhalb längst zur Popkultur gehört. Das mag auch ein Grund sein, warum instinktiv immer weniger junge Leute Dialekt schwätzen“, kritisiert Jauch.
Da die Arbeiten am Projekt, bis auf die Kamera- und Tonaufnahmen, von Mitgliedern des Vereins geleistet wurden, sind diese Pläne jederzeit durchführbar. „Wir sind derzeit auf der Suche nach Sponsoren, die mithelfen wollen, den Gedanken an ein Open-Ländle weiterzuentwickeln. Im Grunde fehlt es nur am Geld“, so Jauch
Gut zu wissen:
Einzelheiten zum Projekt sowie Trailer, alle Clips und der gesamte Film unter:
www.streets-of-stuttgart.de (Der Film heißt „The Swabian Gameplay“.