Der kleine Gigant und der Himmelsgott ...

... sind  nach 1800 Jahren endlich wieder vereint – Eine neue Steinfigur aus der römischen Ansiedlung von  Bad Cannstatt – Im Depot des Landesmuseums  gibt es viele Funde aus dem römischen Bad Cannstatt.

Seit Anfang des Jahres finden im Römerkastell an der Altenburger Steige Ausgrabungen statt. Archäologen untersuchen das Baufeld für die Erweiterung der städtischen Altenburgschule.
In römischer Zeit stand dort von ca. 100 bis 150 n. Chr. zunächst ein Kastell für eine Reitereinheit, dem bis um 260 n. Chr. eine ausgedehnte Zivilsiedlung nachfolgte.
Zunächst zog ein eher unscheinbarer, schlammverschmierter Sandstein die Aufmerksamkeit eines Mitarbeiters der dort tätigen Firma ArchaeoBW auf sich. Bei näherem Hinsehen und nach einer ersten Reinigung entpuppte sich der Fund als gut 30 cm große, kniende Figur mit menschlichem Kopf.
Trotz der Verwitterung des Steins erkennt man, wie die Arme seitlich am Oberkörper anliegen und die Hände auf Hüfte und Beinen ruhen. Letztere sind allerdings nicht menschlich geformt, sondern gehen in eine Art Schlangenleib über.

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Bei der Figur handelt es sich um ein Mischwesen der römisch-germanischen Götterwelt, einen sogenannten Giganten

Der leitende Archäologe des Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Dr. Andreas Thiel, erkannte: „Bei der Figur handelt es sich daher um ein Mischwesen der römisch-germanischen Götterwelt, einen sogenannten Giganten.
Wie vergleichbare Funde zeigen, war die Figur einst Teil einer Jupiter-Giganten-Säule. Diese Denkmale vereinen klassisch antike mit vermutlich germanischen Glaubensvorstellungen: Der Blitze schleudernde Jupiter reitet dabei auf seinem Pferd über eine am Boden kauernde, meist nackt und bärtig dargestellte Gestalt, wie dies beispielsweise bei einer Gruppe aus Hausen an der Zaber, Kreis Heilbronn, zu sehen ist.

Jede Ausgrabung auf dem Hallschlag bringt  Puzzleteile zur römischen Vergangenheit in Stuttgart ans Licht

Allerdings wird das Wesen unter dem Pferd dabei häufig in einer Pose darstellt, die das Pferd über ihm eher zu stützen scheint. Diese Figurengruppen krönten hohe, auf öffentlichen Plätzen aufgestellte Steinsäulen. Vermutlich wird Jupiter hier als Wettergott und Herr über die Naturkräfte dargestellt.“
Neben seiner wissenschaftlichen Bedeutung hat der Neufund auch noch einen weiteren hochinteressanten Aspekt. Thiel meint dazu: „Zunächst danke ich dem Grabungsteam. Jede Archäologin, jeder Archäologe freut sich, wenn ein schöner Fund gelingt. Jede Ausgrabung auf dem Hallschlag bringt so Puzzleteile zur römischen Vergangenheit der Landeshauptstadt ans Licht. In diesem Fall sind wir nun in der glücklichen Lage, dass unser Gigant zu weiteren Funden passt, die schon vor über einhundert Jahren zu Tage kamen.“
Dazu die Leiterin der Abteilung Archäologie und Referentin für Klassische sowie Provinzialrömische Archäologie am Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, Dr. Astrid Fendt: „In unserem Depot haben wir viele Funde aus dem römischen Bad Cannstatt. Als wir von der Neuentdeckung hörten, haben wir sofort an ein weiteres Teil einer Jupiter-Giganten-Säule gedacht. Zu deren Sockel gehörte in der Regel ein sogenannter Viergötterstein.
Im Depot des Landesmuseums Württemberg gibt es einen stark beschädigten Viergötterstein mit den Darstellungen der römischen Gottheiten Merkur, Juno, Hercules und Minerva.“ Andreas Thiel vom Landesdenkmalamt ergänzt: „Genau dieser Viergötterstein stammt aus einem Brunnen (der am Rande der jetzt aktuell gegrabenen Fläche lag) und wurde bei den Grabungen 1908 gefunden. Der unscheinbare Gigant könnte dort auch gelegen haben, entging den Kollegen damals aber wohl, was nicht verwunderlich ist, wenn man sich den Stein noch schmutzig vorstellt.“
Insgesamt gesehen ist es ein großer Glücksfall, dass der neu gefundene Gigant mit einem schon seit Langem im Depot des Landesmuseums Württemberg lagernden Fragment in Verbindung gebracht werden kann. So ist es möglich, eine Jupiter-Giganten-Säule zu rekonstruieren, die einst im Bereich einer wichtigen Straßenkreuzung der römischen Ansiedlung von Bad Cannstatt aufgestellt war. Für die hiesigen Archäologinnen und Archäologen ein weiteres Puzzleteil der reichen römischen Vergangenheit der Landeshauptstadt Stuttgart.